Dass der Umgang mit den seiner Obhut anvertrauten Tieren dem Milchschafhalter nicht nur Freude, sondern auch Gesundheit und Schaffenskraft bis ins hohe Alter bringt, wussten wir Züchter seit langem. Zu offenkundig sind die mitunter ans wunderbare grenzenden Heilerfolge, die wir an uns selbst oder an Personen unseres Bekanntenkreises beobachten durften, wenn wir mit unserer „weissen Wundermedizin“ helften konnten, mitunter sogar in sehr schwierig erscheinenden Fällen. Freilich, wir Schafhalter sind zumeist reine Praktiker und wissen als solche mehr um das „Wie“ als um das „Warum“.
Nun hat sich jedoch in den letzten Jahren – sehr zu unserer Freude und Befriedigung – die medizinisch-biologische Forschung in steigendem Masse diesem „Warum“ angenommen. Machen wir uns also die von der Wissenschaft erarbeiteten theoretischen Erkenntnisse zunutze, indem wir darüber ernsthaft nachdenken, aufmerksam beobachten und versuchen, sie in die Praxis umzusetzen.
Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Von der Annahme ausgehend, dass die Erreichung eines hohen Lebensalters bei voller Schaffenskraft ihre tieferen Ursachen haben müsse, hat man zunächst ermittelt, wo und wie auf unserem Erdball die ältesten Menschen anzutreffen sind. Man fand sie in Bulgarien, in Rumänien und im Kaukasus; es waren Imker und Schafhirten. Da sie den ärmsten Bevölkerungsschichten angehören, konnte ihre Rüstigkeit nicht in optimalen Lebensbedingungen zu suchen sein. Man musste jedoch annehmen, dass der zur Verfügung stehenden Kost besondere Kräfte innewohnten. Bei den Imkern erging es der Forschung zunächst wie den Dienern des Königs im Märchen, die das „Hemd des Glücklichen“ suchten, welches das Leben des Königs retten sollte. Als sie den wahrhaft Glücklichen endlich gefunden hatten, war dieser zu arm, um ein Hemd sein eigen zu nennen. Auch die Imker jener Landstriche waren zu arm, um den geernteten Honig selbst zu verbrauchen. Sie mussten ihn verkaufen und begnügten sich zum eigenen Gebrauch mit den bei der Klärung und Schönung des Honigs verbleibenden unansehnlichen Rückständen und wurden damit der wertvollsten Wirkstoffe, die der Honig überhaupt besitzt, teilhaftig: des Blütenpollens, der den Honig trübt und der den Baustein des Bienenwachses darstellt.
Den Schafhirten der Berge stand als Grundlage der recht einseitigen Ernährung Schafmilch, Schafkäse und Schaffleisch zur Verfügung. Die Schafmilch wird in Bulgarien – wohl infolge des wärmeren Klimas – vorwiegend als Sauermilch, Yoghurt und Kefir genossen. Man vermutete also mit Recht als Ursache des hohen Lebensalters die dem Yoghurt eigentümlichen besonderen Wirkstoffe.
Nun, Schafmilch hat man seit langem untersucht und wir wissen aus älteren Veröffentlichungen um ihre Zusammensetzung. Es ist uns bekannt, dass sie in ihrem Gehalt an Eiweiss, Fett und Mineralsalzen vor Kuh- und Ziegenmilch an der Spitze liegt, dass ihr Wassergehalt der geringste unter diesen Milcharten ist und dass ihre Fettmoleküle von besonders feiner Struktur sind.
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Eiweiss % |
Fett % |
Salze % |
Wasser % |
Kuh |
3.6 |
3.4 |
0.7 |
87.7 |
Ziege |
4.0 |
3.6 |
0.8 |
87.3 |
Schaf |
4.7 |
5.0 |
1.0 |
84.7 |
(nach Nielebock, Milchschaffibel 1949)
Diese Mehrwerte an Eiweiss, Fett und Salzen können jedoch alleine kaum die überragende Wirkung der Schafmilch auf den menschlichen Organismus erklären. Man kam so zu der Annahme, dass ein besonderer Wirkstoff die Schafmilch vor den andern Milcharten auszeichnen müsse und fand ihn in der OROTSÄURE, deren ungewöhnlich hoher Gehalt der Schafmilch vor allen andern Milcharten eigen ist.
OROTSÄUREGEHALT:
Kuhmilch l00 mg/Liter
Ziegenmilch 63 mg/Liter
Schafmilch 350-450 mg/Liter
(nach Dr. Schwoerbel, der Deutsche Apotheker 1966)
Seit der Entdeckung der Orotsäure im Jahre 1904 haben sich viele Untersuchungen mit ihrer Erforschung beschäftigt. In den letzten Jahren ist es eine wahre Lawine von Hunderten von Veröffentlichungen geworden, eine Lawine, die nun irgendwie auch auf uns Schafzüchter zurückkommt. Viele Arbeitskreise auf der ganzen Welt spüren der Wirkung der Orotsäure auf den menschlichen Organismus nach. Sie wird öfters als Vitamin B13 bezeichnet und findet sich besonders in Buttermilch, saurer Milch, Quark, Kefir und Yoghurt, auch Sauerkrautsaft. Von Schafmilch, Schafyoghurt oder Schafsauermilch genügt, wenn man die in Dringlichkeitsfällen empfohlene Höchstmenge von 200 mg Orotsäure zugrunde legt, ein täglicher Verzehr von 1/2 Liter, was 2 1/2 Liter Tagesverzehr von Kuhmilch entspräche. Eine so hohe Milchmenge dürften jedoch nur wenige Menschen täglich verkraften können. Der normale Orotsäurebedarf liegt weit niedriger. Bei völligem Fehlen von Vitamin B13 treten Störungen der Darmbakterienflora (Disbakterie) auf, für den Leberferment-Stoffwechsel ist es unentbehrlich.
Hinzu kommt als weiterer Vorzug der Schafmilch ihre leichte Verdaulichkeit, bedingt durch die feinere Struktur der Fettmoleküle. Hierdurch ist sie für Säuglinge, Magenschwache und Magenkranke leicht verträglich und bekömmlich.
Auch Lebergeschwächten, welche mit Fetten vorsichtig sein müssen, bereitet die Verdauung des Schafmilchfettes keine Beschwerden. Zudem ist das Schaf das einzige Haustier, das bislang von Tuberkulose verschont blieb, so dass man füglich annehmen darf, dass seine Milch besondere Abwehrstoffe gegen diese Geissel der Menschheit besitzt.
Wenn ich nun im einzelnen auf die der Schafmilch, infolge ihres hohen Orotsäuregehaltes, innewohnenden Heilkräfte eingehe, so sei mir gestattet, neben den theoretischen Angaben, wie die Forschung sie ermittelte, praktische Beispiele aus dem eigenen Erfahrungsbereich und dem mir bekannter Züchter beizufügen.
I. OROTSÄURE baut hochwertige Zellkern-Eiweisse auf
Sie wirkt also
a) generierend, d.h. aufbauend im jugendlichen Organismus und
b) regenerierend, d.h. wiederaufbauend im alternden oder kranken Organismus.
a) Bereits 1937 wurden an der Universität Breslau Versuchsreihen mit Schafmilch bei der Säuglingsernährung durchgeführt. Man dachte dabei nicht nur an den gesunden Säugling (Umstellung von der Muttermilch auf künstliche Ernährung), sondern vor allem auch an die Ausheilung von Anämie (Blutarmut), Nährschäden (Ekzeme), akuten Magen- und Darmkatarrhen als Folge von Dysbakterie. Die Erfolge waren eindeutig, Schafmilch wurde als „Heilnahrung“ bezeichnet.
Beispiel: Die Züchterin M.R. in Haidholzen rettete den Säugling der Nachbarin, der keinerlei Nahrung vertrug. Als ärztliche Hilfe vergebens und das Kind verloren schien, versuchte es die verzweifelte Mutter mit verdünnter Schafmilch. Das Kind erholte dich zusehends und konnte dem erstaunten Arzt nach einiger Zeit gesundet vorgestellt werden.
Die zehnjährige Helga P. in Proveis (Südtirol), ein zartes Mädchen, blühte, nachdem sie durch sechs Wochen regelmässig Schafmilch bekam, derart auf, dass es in der Schule durch Aussehen, Lebhaftigkeit und Lernerfolg auffiel und das Kind nach der Ursache dieser Wandlung befragt wurde.
b) Im alternden oder kranken Organismus sind ganz besondere Heilerfolge zu beobachten bei Leberschädigungen, Magen- und Darmerkrankungen, Lungenleiden usw. Man hat im Tierversuch künstlich erzeugte Leberzirrhose mit Orotsäure behandelt und – mehr noch als mit Vitamin B12 – die Überlebenszeit erheblich gesteigert.
Beispiel: Herdbuchzüchter Pfarrer F.S. in Mühldorf riet einem seit Jahren leberleidenden Amtsbruder zum Genuss von Schafyoghurt. Nachdem dieser durch drei Monate täglich zwei Becher selbst zubereiteten Schafyoghurt gegessen hatte, war das hartnäckige Leiden behoben. Er ist ein begeisterter Milchschafhalter geworden!
Bei Magengeschwüren und -schleimhautentzündungen grenzt der Erfolg geradezu ans Wunderbare, ein Becher lauer Schafmilch kann die Schmerzen fast augenblicklich beruhigen, wie wir an unserem Freund G. in Rohrdorf erleben durften. Es scheint neben der physiologischen Wirkung auch eine mechanische Wirkung vorzuliegen. Die getrunkene Schafmilch dürfte die entzündete Magenschleimhaut mit einem feinen Fettfilm überziehen und die Magennerven dadurch beruhigen. Der Schmerz lässt fast augenblicklich nach, wenn auch die tiefere Ursache des Leidens damit noch nicht behoben ist; hier müsste, neben der Beobachtung durch den behandelnden Arzt, eine längere Schafmilchkur die Heilung unterstützen und herbeiführen. Die Züchter P.W. in Aschau (Maurer) und J.V. in Schlossberg (Zimmermann) sind durch ihre schweren Magenleiden zu Milchschafzüchtern geworden. Beide können ihren Beruf heute wieder voll ausüben. W. hatte nach ärztlicher Aussage, nach einer schweren Magenoperation, nur noch eine Lebenserwartung von höchstens 18 Monaten, seither sind 12 Jahre vergangen. Der Bergbauer P. in Proveis (Südtirol), war seit Kriegsende 1945 durch Magengeschwüre so geschwächt, dass er seiner schweren Arbeit nicht mehr genügen konnte. 1967 schenkte ihm eine Münchner Verwandte vier Milchschaftiere; bereits nach acht Wochen strahlte er: „Ich kann wieder arbeiten, ich bin endlich wieder gesund!“ Und dabei ist es geblieben.
Bei Lungenleiden (schwere TB) tritt die regenerierende Heilkraft besonders auffällig in Erscheinung. Herr W. in Pang kehrte aus dem ersten Weltkrieg schwer lungenkrank zurück und wurde 1919 aus der Heilstätte als unheilbar entlassen. „Die Milchschafe sind meine Lebensretter gewesen“, sagte er mir noch 14 Tage vor seinem 1967 durch einen Verkehrsunfall verursachten Tod.
Es scheint jedoch noch ein anderer Faktor, den wir bislang nicht erklären können, bedeutungsvoll zu sein. Vielleicht nimmt sich auch die Wissenschaft eines Tages dieses Phänomens an; wir Milchschafzüchter können ja nur aus der Erfahrung berichten. Herr K. in Bonn erzählte mir, dass die Milchschafzucht im „Kohlenpott“ wohl deshalb so festen Fuss fasste, weil man eine wohltuende Wechselwirkung zwischen den Staublungenbeschwerden aus den Kohlenschächten einerseits und dem Genuss der Schafmilch andererseits bei den Bergleuten beobachtete. Es scheint beinahe, als ob sich sogar die Ausdünstung der Schafe wohltuend auf die Atmung der Erkrankten auswirke. Herr K. berichtete, dass ein Staublungen-Vollinvalide, der zufällig den Schafstall des Nachbarn betrat, eine solche Erleichterung empfand, dass er in der Folge regelmässig zum „Inhalieren“ den Stall aufsuchte. Die Sache sprach sich herum und es sassen später auf einem eigens für sie aufgestellten Bänkchen die Staublungeninvaliden der Nachbarschaft für täglich 2 Stunden zur „Atemtherapie“ im Stall … wie die Patienten eines Kurbades.
II. ABLAGERUNGEN im alternden Gewebe werden durch Orotsäure abgebaut
Hierbei handelt es sich um den Abbau der altersmässig bedingten „Kalkablagerungen“ (Cholesterin) in den Gefässwänden; sie werden dadurch spröde und verlieren ihre Dehnbarkeit. Bekannt ist der Vorgang als Arterienverkalkung, was sich u.a. durch Gedächtnisschwund, rasche Ermüdung, Interesselosigkeit und hohen Blutdruck äussert. Schliesslich kann es zu Gefässbrüchen (Hirnschlag) und Herzinfarkt (Bruch der Herzkranzgefässe) kommen. Durch Orotsäure werden die Ablagerungen weitgehend abgebaut, auf etwa 1/5 der vorhandenen Werte.
III. OROTSÄURE dient als „Schlepper“ für das lebenswichtige
Magnesium und beugt dadurch der Krebsgefahr vor
Man weiss heute, dass unter den Spurenelementen, deren der menschliche Körpfer bedarf, dem Magnesium grösste Bedeutung zukommt. Es verhindert – wie im Tierversuch festgestellt wurde – die Bildung von Krebsgeschwülsten (Karzinomen) und entwickelt im Körper krebshemmende Substanzen. Auf seinem Wege durch den menschlichen Körper an seinen Wirkungsort – die Zelle – würde das Magnesium vorzeitig abgedrängt und durch die Niere ausgeschieden, wenn man ihm nicht einen zuverässigen „Transporter“ zur Verfügung stellen würde. Als solchen „Schlepper“ bietet sich in geradezu idealer Weise die Orotsäure an, also wiederum unsere brave Schafmilch.
Magnesium-Orotat, wie sich dieses Ehepaar hochwissenschaftlich nennt, beugt einer Krebsentstehung vor, wirkt überdies krebshemmend, senkt den Cholesterin-Blutspiegel, verbessert die Durchblutung, steigert die blutbildende Arbeit der Knochenmarkzellen und erweitert die Herzkranzgefässe.
Seit Jahrtausenden ist Schafmilch als Hautpflegemittel bekannt. Auch heute noch ist sie als Basis für Hautcrème gesucht.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Mit Schafmilch und ihren Verarbeitungsprodukten (Sauermilch, Quark, Yoghurt, Käse) ist uns nicht nur ein vollwertiges Nahrungsmittel, sondern vor allem auch ein hervorragendes Vorbeugungs- und bewährtes Heilmittel gegen viele Zivilisationsschäden, -krankheiten und -mängel in die Hand gegeben. In gesäuerter Form dargeboten, wird Schafmilch von manchen Leuten bevorzugt. Will man aus Zeit- oder Raummangel oder um der Gleichmässigkeit des Produktes willen den Vorgang der Säuerung beschleunigen und vereinfachen, so kann man sich des „Säureweckers“ bedienen; er ist zu beziehen durch die Firma Chr. Hansen, Laboratorium, Lübeck. Ein „Satz“ kostet etwa DM 7.– + Mehrwertsteuer. Er hält sich, einmal mit etwa einem Liter Schafmilch angesetzt, im Kühlschrank mehrere Monate und reicht für die Säuerung von 100 L Schafmilch aus. Zu erwähnen ist, dass man – entgegen der auf der Packung für Kuhmilch angegebenen Gebrauchsanweisung – Schafmilch beim „Ansetzen“ nur ganz kurz aufkochen darf. Noch besser auf 70 Grad erhitzen.
Ich möchte schliessen mit den Worten, die ein Arzt auf der DLG-Schau 1968 in München an mich richtete. Ich hatte ihm einen Becher Schafmilch gereicht, er hatte ihn mit wahrer Andacht getrunken und sagte als Dank: „Wenn wir das den Menschen – gesunden und kranken – in ausreichender Menge darbieten könnten, was könnten wir für Segen stiften. Wollen wir Schafzüchter doch das beherzigen!
Achenmühle, im März 1969
Ida Schwintzer
Anmerkung: Ida Schwintzer war die wohl bekannteste Milchschafzüchterin Deutschlands. Sie hat sich intensiv mit den gesundheitlichen Vorzügen der Schafmilch befasst, aber auch mit allen Aspekten der Milchschafhaltung, der Milchschafzucht und der Verarbeitung der vielfältigen Produkte des Milchschafes. Ihr umfassendes Wissen hat sie in das Buch „Das Milchschaf“ einfliessen lassen. Dieses im Ulmer Verlag erschienene Buch gilt auch heute noch als Standardwerk